vitamin b
vitamin b im ländle blues
in vorarlberg, irgendwo zwischen kässpätzle-duft und dem ewigen "kennsch wen?", gab es einen kleinen fotografen namens leo. leo hatte talent – richtiges talent. so eines, das man eigentlich nur bekommt, wenn man zu viel sieht und zu wenig schläft.
er fotografierte licht, das andere nicht einmal bemerkten.
er sah schatten, bevor sie überhaupt beschlossen hatten, wohin sie fallen wollen.
und er arbeitete wie ein besessener – nicht weil er musste, sondern weil er nicht anders konnte.
doch dann kam er drauf, dass er im falschen bundesland lebt.
denn in vorarlberg, so sagt man, wird nicht nach können gefragt, sondern nach kontakten.
blende, belichtung oder begabung?
eh nett, aber vollkommen überschätzt.
was wirklich zählt, ist, ob du am richtigen stammtisch sitzt und ob deine espressomaschine den richtigen leuten die crema schmeichelt.
und so passierte, was immer passiert:
die größten pfeifen – jene, die ihre kamera noch immer für einen komplizierten toaster halten – bekamen die besten jobs.
nicht weil sie wussten, was sie tun.
sondern weil sie wussten, wen sie anrufen mussten, wenn sie nicht wussten, was sie tun.
leo schaute sich das eine zeit lang an.
er schaute zu, wie dieselben drei nasen jede hochzeit fotografierten und dieselben fünf gesichter jeden werbeauftrag erbettelten, als wären sie bei einem bingo-abend mit fix gezogenen kugeln.
und immer wenn er dachte:
"jetzt wird's aber langsam lächerlich",
kam jemand daher, der sagte:
"du, i kenn wen, der kennt wen, der kennt wieder wen…"
leo begann, das ganze als eine art naturgesetz zu betrachten.
wie die schwerkraft, nur klebriger.
eines tages jedoch – es regnete eine dieser typisch vorarlbergerischen mikrodrizzel, bei denen man nicht weiß, ob man nass wird oder beleidigt – stand leo vor seinem studio, schaute über den bodensee und dachte:
"na gut. wenn's schon nicht ums können geht, dann mach ich's halt wie alle anderen."
er packte seine kamera, sein talent und seinen stolz ein, ging in den nächstbesten gasthof, setzte sich an den stammtisch und bestellte sich ein bier.
und siehe da:
nach nicht einmal zehn minuten hatte er drei neue aufträge.
nicht wegen seiner bilder.
nicht wegen seiner kunst.
sondern weil er zufällig neben jemandem saß, der jemanden kannte, der wiederum jemanden brauchte.
leo hob sein glas, schmunzelte bitter und murmelte:
"prost, vorarlberg. ein ort, an dem vitamin b wichtiger ist als blende, belichtung oder begabung."
und plötzlich verstand er es:
im ländle spielt man keinen fotografie-wettbewerb.
man spielt soziallotterie.
und wer die richtigen zahlen zieht, dem gehört das licht.
